Romans VII: How the Blues began
Abgelegt unter: Geglaubtes — Haso @ 9:34
Gestern habe ich den Blues von Mister “Ich” aus Römer 7,14-25 beschrieben. Er schafft es nicht, seine guten Vorsätze einzuhalten. Er fällt immer wieder in Verhaltensweisen zurück, die ihm zuwider sind. Deshalb leidet er an sich selbst.
Dem Mister “Ich” müsste ich erst noch begegnen, auf dessen Liste gebrochener Vorsätze nicht das Bibellesen und das Beten stünde. Die Unzufriedenheit mit eigenem Wortumgang und Gebetsleben ist in der Christenheit nahezu flächendeckend. Könnte es sein, dass der Fehler nicht im einzelnen Christen, sondern im System liegt? Deshalb ergänze ich heute die Analyse von Mister “Ich”s Befindlichkeit um einige freche Gedanken der Systemkritik.
Das Elend von Mister “Ich” beginnt oft schon am Tag seiner Bekehrung. Voller Freude bricht er in ein neues Leben mit Jesus auf. Doch schon fällt er einem Mitchristen in die Hände, der ihn wohlmeinend unterweist: Ab heute müsse Bruder “Ich” täglich die Bibel lesen und beten. Schon ist die Weiche aufs Verlierergleis gestellt. Was Kür sein sollte, ist zur Pflicht geworden. Das Unheil nimmt seinen Lauf. Ich erlaube mir zu protestieren.
1. Du musst überhaupt nicht die Bibel lesen.
Ich sage nicht, das Bibellesen schlecht ist - im Gegenteil. Ich sage nicht: “Lass das Bibellesen!” Wenn einer will, darf er sie gern lesen. Ich freue mich darüber. Ich weiß, dass sie ihm gut tun wird. Ich sage nur: Du musst sie nicht lesen. Jedenfalls nicht, um Gott zu gefallen (du gefällst ihm nämlich schon) oder um ein “guter Christ” zu sein. Es gibt keine anderen Christen als gute. Ein Christ ist ein Werk Gottes (Epheser 2,8). Alles, was Gott macht, ist gut.
Mister “Ich”, du bist ein Christ,
und dein Gott macht keinen Mist.
Wie gesagt, du musst nicht die Bibel lesen. Zweifelt jemand daran? Ich kann es dir ganz einfach beweisen. 1500 Jahre lang gab es Christen, ohne dass es gedruckte Bibeln gab. Dem normalen Christen waren die vorhandenen Handschriften entweder nicht zugänglich, oder er wäre nicht schriftkundig genug gewesen. Wie kann Bibellesen da eine Christenpflicht sein? Wie kann ein Christ etwas müssen, was der Mehrheit der Christen über 1500 Jahre gar nicht möglich war? (Natürlich ist es ein Vorzug, dass heute Luther, Elberfelder und Volxbibel in unserem Besitz sind. Doch dadurch ist Bibellesen keine Pflicht. Es ist ein Privileg.)
Wie wäre es, wenn wir alten Hasen, die sich um eine gute geistliche Ernährung des jungen Christen sorgen, es ganz anders anfingen? Wenn wir ihm kein “Joch auf den Nacken legen, das weder unsere Väter noch wir haben tragen können” (Apostelgeschichte 15,10)? Wenn wir stattdessen in unseren Gemeinden nur regelmäßig davon berichten würde, wie gut uns das Wort tut? Wenn der frischgebackene Bruder “Ich” in jedem Treffen davon erführe, wie wir durch das Wort Heilung, Versorgung, Kraft und Hilfe empfangen? Wenn er an uns sehen würde, welche zuversichtlichen, siegreichen und weltverändernden Menschen das Wort aus uns gemacht hat? Es müsste doch mit unrechten Dingen zugehen, wenn ihm das nicht einen solchen Appetit aufs Wort erwecken würde, dass man seine Nase nur noch in der Bibel fände.
Was sagst du? So sieht das bei uns nicht aus? So zuversichtlich und weltverändernd sind wir nicht? Mit welchem Recht verpflichten wir dann junge Christen zu etwas, was bei uns selbst nicht funktioniert? (Bevor mir einer solche Sätze übelnimmt - ”Was habe ich denn getan? Ich habe doch nur gefragt!” 1.Samuel 17,29)
2. Du musst nicht mehr beten
Ich bin für “mehr”. (”Mehr, Herr”, ist eins meiner Standardgebete in Segnungsgottesdiensten.) Und ich bin für “beten”. Aber ich bin nicht für “mehr beten”. Überall wird “mehr beten” von uns gefordert. Wofür sollen wir nicht alles beten: für die Regierung, für unsere Stadt, für Erweckung, für Israel, für Missionar A., für Schwester B., für Veranstaltung 1 bis 23, gegen Veranstaltung xxiv bis xxxiii … Am besten machen wir das Telefonbuch zu unserer täglichen Gebetsliste, denn die haben alle auch Fürbitte nötig. Wer soll das schaffen?
Außer dem Telefonbuch bin ich übrigens schon mehr oder weniger in all diesen Gebetsanliegen engagiert gewesen. Ich glaube, dass Gott noch viel mehr Gebet in allen diesen Bereichen “freisetzen” möchte. Aber das wird mit Sicherheit nicht durch die gutgemeinten Appelle geschehen: “Christen, betet mehr!” Ich habe noch nie erlebt, dass leere Gebetsstunden sich gefüllt hätten, weil ständig ermahnt wurde: “Kommt zur Gebetsstunde!” Ich habe nur erlebt, dass Christen ein schlechtes Gewissen bekamen, weil ständig ermahnt wurde: “Betet mehr!” Wenn wir wirklich wollen, dass mehr gebetet wird, dann lasst uns endlich mit diesen Appellen aufhören. Das Gesetz bringt keine Beter hervor.
Wenn ich meine Bibel richtig kenne, steht da übrigens auch nicht die Aufforderung, “mehr” zu beten. Ich erinnere mich, in ihr gelesen zu haben, dass wir “weniger” beten sollen (Matthäus 6,7). Ansonsten hat Jesus durch Verheißungen Appetit aufs Beten gemacht (Matthäus 7,7) oder gewartet, bis sein eigenes Vorbild in den Jüngern das Verlangen nicht nach mehr, sondern nach anderem Gebet erweckt hatte (Lukas 11,1).
Wie gesagt, die Bibel fordert uns nicht auf, “mehr” zu beten. Wenn, dann fordert sie uns auf, “allezeit” (Epheser 6,18) und “ohne Unterlass” (1. Thessalonicher 5,16-17) zu beten. Mit “mehr” ist es nicht getan. “Ununterbrochen” ist angesagt. Wie kann man “allezeit” schaffen, wenn man nicht einmal “mehr” schafft? “Schaffen” kann man das genauso wenig, wie man dazu “verpflichtet” werden kann.
Wie wäre es, wenn wir die jungen Christen einfach nur liebhaben, ihnen das Wesen des Vaters und das Wesen Jesu zeigen, und sie ständig daran erinnern, dass Christus in jeder Lage bei und in ihnen und für sie ist: wenn sie schlafengehen, wenn sie aufstehen, wenn sie Zähne putzen, wenn sie frühstücken, wenn sie aus dem Haus gehen, wenn sie in der Schule oder auf der Arbeit sitzen, wenn sie Pause machen, wenn sie nach Hause fahren, wenn sie fernsehen, wenn sie Fußball spielen, wenn sie in der Gemeinde sind, wenn sie nicht in der Gemeinde sind, wenn sie über den Glauben sprechen, wenn sie zu feige sind, über den Glauben zu sprechen, wenn sie über etwas ganz anderes sprechen, ja, sogar wenn sie auf dem Klo sind oder wenn sie sündigen? Wenn wir ihnen das solange zusprechen, bis aus der mentalen Zustimmung ein Bewusstsein geworden ist und sie die Gegenwart Jesu ständig als real, wohltuend und hilfreich erleben?
Es sollte mich wundern, wenn sie dann nicht automatisch anfangen, immer wieder mit diesem Jesus zu sprechen. Wenn ich ständig mit meiner Frau zusammen bin, spreche ich auch immer wieder mit ihr. Selbst wenn wir mit verschiedenen Dingen beschäftigt sind (sie liest ein Buch, ich höre eine Predigt), störe ich sie, weil mir etwas einfällt, was ich ihr sagen möchte. Und zwischendrin nehmen wir uns Zeit, wo wir nur miteinander sprechen. Gegenwart schafft Kommunikation.
Ich schließe mit einer alten Anekdote:
Ein junger Mann steht vor der Frage, ob er Christ werden will. Eigentlich weiß er, dass es dran ist. Aber er hat immer wieder gehört, dass ein Christ “Zeugnis geben” muss. Schon der Gedanke daran, sich als Christ öffentlich outen zu müssen, ist ihm peinlich. Deshalb schiebt er seine Bekehrung immer wieder vor sich her. Eines Tages kommt er mit einem Pastor ins Gespräch und erzählt ihm von seinem Problem. Der weise Mann nimmt ihm die Last von der Schulter: “Du musst überhaupt nicht Zeugnis ablegen, wenn du Christ wirst.” Erleichtert geht der junge Mann nach Hause, zieht sich in sein Zimmer zurück und bekehrt sich zu Jesus. Diese Erfahrung erfüllt sein Herz so mit Freude, dass er aus seinem Zimmer stürzt und die Treppe ins Wohnzimmer hinab eilt, wo seine Familie sitzt. “Wusstet ihr schon, dass man Christ werden kann, ohne anderen davon erzählen zu müssen”, stößt er begeistert heraus.
Meine kühne These: die Bibel würde mehr gelesen werden und es würde mehr gebetet werden, wenn wir immer wieder ganz klar aussprechen: “Du must überhaupt nicht in der Bibel lesen. Du musst nicht mehr beten.” Falls einer Zweifel hat, ob meine sanfte Tour wirklich Erfolg hat, antworte ich ihm: sie wird zumindest nicht weniger Erfolg haben als das gegenwärtige System.
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