Freitag, 15. Oktober 2010

Teil 3

Biblische Untersuchung

Obwohl die Bibel klar macht, daß der Heilige Geist durch das Wort und in erster Linie durch dieses wirkt, finden wir keine einzige Aussage in der Bibel, die besagt, daß es eine Zeit geben würde, in der der Heilige Geist nur noch durch die Bibel wirken würde. Dies ist eine an Augustin und Luther angelehnte theologische Tradition, für die es aber keinen biblischen Rückhalt gibt.

Eines muß natürlich festgehalten werden: Der Heilige Geist wird nicht gegen das Bibel-Wort wirken, denn das Wort ist ja von ihm (2Tim 3,16). Außerdem wirkt er in allererster Linie durch das Wort der Predigt: Die Galater haben ihn durch das Hören des Evangeliums erhalten (Gal 3,2). Aber um dieses Evangelium möglichst effektiv zu verbreiten und die Gemeinde aufzubauen, benutzt der Heilige Geist neben dem Wort noch andere Mittel: Er gibt Paulus bei seinen Missionsreisen konkrete geographische Führung (vgl. Apg 16,6f.; 19,21; 20,22f; 23,11; Gal 2,2); er entrückt Philippus von einer Evangelisation zur nächsten (Apg 8,39f.); er sagt eine Hungernot voraus (Apg 11,28) und er wirkt durch die Apostel viele Wunder. In all diesen Beispielen hat das Wirken des Geistes mit der Verkündigung des Evangeliums und dem Aufbau der Gemeinde zu tun. Und noch einmal muß festgehalten werden: es gibt keine einzige biblische Aussage, die besagt, daß eine Zeit gäbe, in der der Heilige Geist anders wirken würde, nämlich nur noch durch das Wort.

Gott wirkt durch sein Wort und seinen Geist. Das zeigt auch der jüdische Hintergrund des Pfingstfestes: Als die Jünger zusammen waren und der Heilige Geist auf sie fiel, da feierten sie gerade das jüdische "Wochenfest" (schavuoth). Bei diesem Fest gedenken die Juden der Gabe der Tora - also des Wortes - am Sinai. An genau jenem Tag im Jahr, an dem ausdrücklich des Wortes gedacht wird, fiel der Heilige Geist - die beiden gehören zusammen. Im Laufe der Kirchengeschichte wurden diese beiden leider geschieden - die einen riefen nur noch "Geist, Geist", die andern nur noch "Wort, Wort".

Prüfet alles

Auch die vielen biblischen Gebote, das Reden des Geistes zu prüfen, unterstützen die These, daß es ein Wirken des Geistes neben dem reinen Bibelwort gibt. Sollen wir denn die Bibel prüfen? Das Gebot zu prüfen bezieht sich nicht nur auf die Lehre, sondern genauso auf Prophetien. Da es nicht nur den Heiligen Geist gibt, sondern auch alle möglichen unheiligen Geister, ist ein übernatürliches Wirken nicht ein Beweis für die Autorschaft des Heiligen Geistes. Genausowenig ist es natürlich ein Beweis für die Autorschaft des Teufels. Aus diesem Grund gibt es die biblischen Gebote, geistliches Reden zu prüfen (1Kor 14,29; 1Thess 5,21; 1Joh 4,1). Für dieses Prüfen gibt es viele Hilfen: das Wort Gottes, das darin offenbare Wesen Gottes, die Gemeinde und geistliche Leiterschaft; und darüber hinaus die tägliche "Gemeinschaft mit dem Heiligen Geist" (2Kor 13,13), in der man seine Stimme immer besser von der des Fleisches und anderen Stimmen unterscheiden lernt.

Erfahrung und Lehre

Der Heilige Geist wirkt sowohl durch Erfahrung als auch durch Lehre. Dafür bietet die frühe Christenheit ein beredtes Beispiel: In ihr waren einerseits Geistesgaben wir Prophetie, Heilung etc. wirksam, auf der anderen Seite wurde auch ein starkes Gewicht auf Lehre gelegt. Nach langem Ringen wurde z. B. in Konzilien festgelegt, daß Jesus sowohl Gott als auch Mensch ist. Hätte die Christenheit hier keine Klarheit gewonnen, wären Häresien wie Gnosis und Arianismus ihr zu einer immensen Gefahr geworden. Das heutige Dilemma ist folgendes: während auf den Universitäten oft die Dimension der Erfahrung und der Umgang mit derselben fehlt, fehlt bei vielen pfingstlichen und charismatischen Gruppen die theologische Reflexion. Es wäre zu wünschen, daß Erfahrung und Doktrin wieder zusammenkommen könnten, statt sich als Gegensätze zu sehen. Man sieht hier immer mehr hoffnungsvolle Ansätze.

Wo innerhalb der Ökumene-Bewegung Erfahrung über das Wort gestellt wird bzw. mit ihm konkuriert, beispielsweise in "charismatischer" Ökumene mit nichtchristlichen Gruppierungen aufgrund ähnlicher "geistlicher" Erfahrungen, wird der Boden unter den Füßen verloren. Der Fels bleibt das Wort, die Erfahrung aber bringt das frische Grün, das den grauen Felsen belebt.

Zusammenfassung

Der Heilige Geist wirkt in erster Linie durch die Bibel, aber er benutzt auch andere Mittel, wobei sein Wirken dem biblischen Zeugnis gemäß ist.

Eine Unterbetonung des Wirken des Heiligen Geistes neben der Schrift kann zu toten Lehrsätzen führen, wie es z. B. in der lutherischen Orthodoxie geschah. Eine Überbetonung kann zu Irrwegen führen, wie es z. B. bei Müntzer geschah. Aus den Erfahrungen der Kirchengeschichte heraus mit ihren häretischen Bewegungen auf der einen Seite und Zeiten lebloser Orthodoxie auf der anderen Seite wäre eine enge Verbindung von Wort und Geist wünschenswert, die dem Heiligen Geist all den Freiraum gibt, den er gerne möchte, und dem Wort die Priorität einräumt, die ihm gebührt.



Dieser Artikel ist von Andreas Hornug.

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