Freitag, 25. März 2011

Franz von Sales über die Freiheit

10.  These 9: Salesianische Pädagogik ist eine Pädagogik der Liebe und Freiheit und nicht des Zwanges

Zu einem der berühmtesten Worte des heiligen Franz von Sales zählt jene Aussage, die er an Johanna Franziska von Chantal schrieb: „Dies soll die Grundregel unseres Gehorsams sein: Ich schreibe sie in großen Buchstaben: ALLES AUS LIEBE TUN UND NICHTS AUS ZWANG! MEHR DEN GEHORSAM LIEBEN, ALS DEN UNGEHORSAM FÜRCHTEN!“63
Hintergrund dieses Aussage war folgender:64 Johanna Franziska von Chantal war in einer schwierigen Lebensphase. Ihr Ehemann fand bei einem Jagdunfall den Tod und sie stand plötzlich mit vier Kindern allein da, zudem litt sie unter den Schikanen ihres Schwiegervaters und dessen Mätresse. Sie brauchte eine Stütze besonders für ihr seelisches und geistliches Leben. Von Freundinnen wurde ihr ein Priester empfohlen, der zur Bedingung seiner geistlichen Begleitung machte, dass sie ihm absoluten Gehorsam gelobte. Johanna beugte sich dieser Forderung, begann aber unter der Last dieses Gehorsams noch mehr zu leiden. 1604 schließlich traf sie den heiligen Franz von Sales. Beide fühlten sich spontan zueinander hingezogen und Franz von Sales erklärte sich bereit, Johannas geistlicher Begleiter zu werden. Ihm war dabei sofort klar, dass diese Begleitung weniger des absoluten Gehorsams bedarf, sondern der Liebe und Freiheit. In seinem ersten längeren Brief an Johanna, in dem er einige Grundsätze seiner Seeleführung darlegte, formulierte er deshalb auch diese Grundregel „Alles aus Liebe, nichts aus Zwang“ und fügte dann hinzu:
„Ich lasse Ihnen den Geist der Freiheit; nicht jenen, der den Gehorsam verneint, denn dies ist die Freiheit des Fleisches, sondern jenen, der Zwang, Skrupel und Hast ausschließt. Wenn Sie Gehorsam und Unterordnung sehr lieben, ist es mein Wunsch, - dies soll für Sie eine Art Gehorsam sein - dass Sie aus einem berechtigten Grund oder aus Nächstenliebe Ihre Übungen unterlassen und diese Unterlassung durch die Liebe ausgleichen.“65
Liebe und Freiheit sollen also in der Beziehung zwischen Franz von Sales und Johanna von Chantal und zu Gott vorherrschen und nicht Kadavergehorsam, Buchstabentreue oder skrupelhaftes Verhalten. In einem späteren Brief beschreibt Franz von Sales noch einmal, was er unter dieser „heiligen Freiheit“ versteht:
„Überall soll doch die heilige Freiheit und Geradheit herrschen. Wir wollen kein anderes Gesetz, kein anderes ‚Muss’ kennen als das der Liebe. Wenn diese uns vorschreibt, irgendeine Arbeit für die Unsrigen zu leisten, so darf sie doch nicht getadelt werden, als hätte sie Böses getan, oder mit einer Geldstrafe belegt werden, wie Sie es tun wollten. Wozu immer sie uns auffordert, ob es für einen Armen oder einen Reichen bestimmt ist, tut sie alles recht und alles ist in gleicher Weise unserem Herrn angenehm. Ich denke, dass Sie mich gut verstehen. Sie werden sehen, dass ich die Wahrheit sage und für eine gute Sache kämpfe, wenn ich die heilige und liebevolle Freiheit des Geistes verteidige, die ich - wie Sie wissen - besonders hochschätze, vorausgesetzt, dass sie die wahre Freiheit ist und sich fern von Zügellosigkeit und von Leichtfertigkeit hält, die ja nur eine Maske der Freiheit ist.“66
Also nicht Zügellosigkeit und Leichtfertigkeit bedeutet diese Freiheit, nicht „Tun und lassen können, was ich will“, sondern eine Freiheit, die sich allein unter das „Muss“ der Liebe beugt. „Liebe, und tu, was du willst“, formulierte der heilige Augustinus (354-430) dieses Zusammenspiel von Gesetz und Freiheit in griffigen Worten.67
Diese Freiheit in Liebe hat Franz von Sales immer verteidigt und all jene kritisiert, die diese Geistesfreiheit missachten. „Es ist immer hart für die Schwestern,“ schrieb er, „von Männern beherrscht zu werden, die die Gewohnheit haben, ihnen die heilige Geistesfreiheit zu nehmen.“68
Diese Geistesfreiheit verteidigte er nicht nur, weil er sich dem Geist des christlichen Humanismus verpflichtet fühlte69 , sondern weil er Gott selbst als einen Gott erfahren hat, der den Menschen diese Freiheit geschenkt hat. Wenn Gott schon den Menschen die Freiheit lässt, dann darf der Mensch den Menschen diese Freiheit nicht wegnehmen. Das Werben Gottes um den Menschen ist vielmehr das Vorbild für den Umgang der Menschen untereinander. Mit Liebe und mit Sanftmut versucht Gott den Menschen für seine Pläne zu gewinnen, nicht mit eisernen Fesseln. Ein Abschnitt aus dem „Theotimus“ macht dies deutlich:
„Gott zieht uns nicht mit eisernen Fesseln an sich wie Stiere oder Büffel, sondern er wirbt um uns, er lockt uns liebevoll an sich durch zarte und heilige Einsprechungen ... Sieh, wie der himmlische Vater uns an sich zieht. Wenn er uns belehrt, lässt er uns Freude daran empfinden; er tut uns keinen Zwang an. Er wirft in unsere Herzen frohe und freudige geistliche Empfindungen, sozusagen als heilige Lockmittel, durch die er uns liebevoll anzieht, die Schönheit seiner Lehre aufzunehmen und zu verkosten. So wird also, liebster Theotimus, unsere Freiheit durch die Gnade keineswegs vergewaltigt oder zu etwas gezwungen. Wie allmächtig auch die Kraft der barmherzigen Hand Gottes ist, die die Seele mit so vielen Einsprechungen, Anregungen und Lockungen rührt, umhüllt und fesselt, der menschliche Wille bleibt doch stets vollkommen frei, ohne einem äußeren oder inneren Zwang zu unterliegen. Die Gnade erfasst ja unsere Herzen so sachte und zieht sie so liebevoll an sich, dass sie in keiner Weise die Freiheit des Willens trübt. Sie berührt machtvoll, zugleich aber so zart das, was unseren Geist bewegt, dass unsere Freiheit keinen Zwang erleidet. Die Gnade besitzt Kräfte, nicht um von unseren Herzen etwas zu erzwingen, sondern um sie liebevoll anzulocken. Ihr wohnt heilige Gewalt inne, uns nicht zu vergewaltigen, sondern unsere Freiheit zu einer liebenden zu gestalten. Sie wirkt kraftvoll, aber zugleich so milde, dass unser Wille unter ihrer so machtvollen Tätigkeit nicht erdrückt wird. Sie drängt uns, unterdrückt aber nicht unser freies Handeln, so dass wir, bei all ihrem kraftvollen Wirken, ihren Regungen zustimmen oder widerstehen können, wie es uns gefällt.“70
Die pädagogischen Konsequenzen dieser Geistesfreiheit liegen auf der Hand und werden gerade dann konkret, wenn wir in unseren Erziehungszielen auf Widerstand stoßen, also wenn das Kind ungehorsam ist, nicht tut, was wir wünschen. Es gibt von Franz von Sales einige Aussagen und Ratschläge, wie der Erzieher sich gerade in solchen Situationen verhalten soll. Ein sehr berühmtes Wort ist das vom Honig und vom Essig: „Man sei immer so sanft wie möglich und bedenke, dass man mit einem Löffel Honig mehr Fliegen herbeilockt als mit hundert Tonnen Essig.“71
Die heilige Johanna Franziska von Chantal hatte manches Mal – wie alle Eltern – Probleme mit der Erziehung ihrer Kinder. Ihr rät Franz von Sales:
„Wir müssen soweit wie möglich gleich den Engeln an den Seelen wirken, nämlich durch liebevolle, gütige Anregungen und ohne Gewalt ... Man muss dabei [Erziehung der Mädchen] Maß halten. Mit dem Wort ‚liebevolle Beeinflussung’ habe ich alles gesagt.“72
Diese „liebevolle Beeinflussung“ als Erziehungsmethode schließt jedoch den „Tadel“ oder die „Mahnung“ bei begangenen Fehlern nicht aus, gibt ihm jedoch eine besondere Note:
„Wenn man ... mahnt, muss man aber doch, wie Sie wissen, Liebe und Sanftmut walten lassen; denn so erteilte Mahnungen wirken nachhaltiger; andernfalls könnte man diesen ein wenig schwachen Herzen schwer schaden.“73
Oder: „Achten Sie beim Tadeln der Fehler darauf, dass Sie in Ihrem Herzen den schwachen Menschen entschuldigen und den Fehler verkleinern; denn so wirken die Mahnungen am nachhaltigsten. Schließlich muss man dem Nächsten gegenüber Milde bis zum äußersten walten lassen, selbst bis zur Torheit, und darf niemals Vergeltung üben gegen die, welche schlechte Dienste leisten. Glauben Sie mir, wenn wir aus diesem Grund etwas verlieren, wird Gott uns wohl anderswo entschädigen. Wenn man aus einem guten Grund gezwungen ist, jemand ein Unrecht vorzuhalten, soll man gerade nur das sagen, was im vorliegenden Fall nötig ist, und über das Übrige möglichst schweigen. Lassen Sie niemals irgendein Gefühl des Zornes aufkommen, über was auch immer und unter welchem Vorwand und Anschein von Berechtigung auch immer, denn es ist immer eine Unvollkommenheit. Es ist besser, alles zu tun, was möglich ist, und alles mit Gelassenheit und Ruhe aufzunehmen. Das ist dann die hohe Vollkommenheit und fördert die Erbauung.“74
Geist der Freiheit bedeutet weder Zügellosigkeit noch das Ignorieren von Fehlern und Schwächen, vielmehr bedeutet dieser nach Meinung des heiligen Franz von Sales eine Erziehungsmethode, die letztendlich größeren und nachhaltigeren Erfolg bringt als Druck und Strafe.

Der salesianische Pädagoge wird also in seinen Erziehungsmethoden den Geist der Freiheit umsetzen und seine Mahnungen stets mit Sanftmut und Liebe verbinden.

In der „Philothea“ beschreibt Franz von Sales dies mit folgenden Worten und bezieht sich dabei nicht auf die Erziehung anderer, sondern auch auf die Selbsterziehung: „Glaube mir, ruhige und herzliche Ermahnungen des Vaters vermögen ein Kind viel eher zu bessern als Zorn und Wutausbrüche. So ist es auch bei uns. Haben wir einen Fehler begangen, dann mahnen wir unser Herz ruhig und liebevoll, mehr aus Mitleid als in leidenschaftlichem Unwillen; reden wir ihm zu, sich zu bessern, dann wird die Reue viel tiefer ins Herz eindringen und es nachhaltiger beeinflussen als eine verärgerte, zornige und stürmische Reue. Wäre mir z. B. viel daran gelegen, ja nicht durch Eitelkeit zu sündigen, und ich beginge trotzdem einen schweren Fehler dagegen, so würde ich mein Herz nicht etwa so tadeln: ‚Was bist du doch abscheulich und erbärmlich, dass du dich nach vielen Vorsätzen wieder der Eitelkeit ergeben hast! Stirb vor Scham! Erhebe mir nie mehr die Augen zum Himmel, du blindes, schamloses, verräterisches, gegen deinen Gott treuloses Herz ...’ Ich würde ihm vielmehr vernünftig und voll Mitleid zureden: ‚Mein armes Herz, jetzt bist du wieder in die Grube gefallen, die wir zu meiden so entschlossen waren. Lass uns wieder aufstehen und ein für allemal der Eitelkeit entsagen! Rufen wir die Barmherzigkeit Gottes an, vertrauen wir auf sie; sie wird uns helfen, in Zukunft tapferer zu sein. Kehren wir wieder auf den Weg der Demut zurück. Mut! Seien wir von jetzt an recht auf der Hut; mit Gottes Hilfe wird es gehen.’ Auf dieser Selbstermahnung würde ich dann einen festen, kräftigen Entschluss aufbauen, nicht mehr in den Fehler zu fallen und alle Mittel dagegen anzuwenden.“75

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