Sonntag, 12. Dezember 2010

Der grüne Tisch

Hier ein sehr guter alter Artikel von Haso


Vor dem Denken kommt das Handeln: Zersägt den grünen Tisch
Abgelegt unter: Getextetes — Haso @ 6:38

Wollte ich ausgewogen sein, schriebe ich wie folgt:

Was kommt zuerst - der Gedanke oder die Handlung? Diese Frage ist eine Neuauflage des alten Henne-Ei-Problems. Sie lässt sich kaum eindeutig beantworten. Der eine stolpert in eine neue Erfahrung (Handlung), und plötzlich sieht er die Welt mit anderen Augen. Dem anderen geht ein Licht (Gedanke) auf, und auf einmal kann er nicht mehr weiterleben wie bisher. Eigentlich spielt die Frage nach dem ersten Auslöser auch nicht die entscheidende Rolle. Wichtig ist nur: es gibt keine zwei Generationen von Hennen ohne dazwischenliegendes Ei. Und es gibt keine zwei Generationen von Eiern ohne eine dazwischenliegende Henne. Jeder Gedanke, der nur neue Gedanken gebären will und nicht zur Handlung führt, bleibt unfruchtbar. Jede Handlung, die keine Auswirkung auf unser Denken hat, verpufft.

Aber ich will nicht ausgewogen sein. Ausgewogenheit ist eine Seuche im Leib Christi. Sie nimmt uns den Biss, macht “wohltemperierte” Nachfolge. Das neuzeitliche Menetekel lautet: “Aus-gewogen und für zu leicht befunden!” Wir brauchen heilige Einseitigkeit und Übertreibung.

Wollte ich korrekt sein, schriebe ich wie folgt:

Die Beziehung zwischen Gedanke und Tat erfordert eine genaue Untersuchung. In der Regel dürfte es keine Handlung ohne einen ersten gedanklichen Anstoß geben. Dieser kann sich über längere Zeit erstrecken - eine solche Handlung nennen wir “wohlbedacht”. Der gedankliche Anstoß kann sich aber auch auf einen kurzen, vielleicht nicht einmal bewusst wahrgenommenen Impuls beschränken. Wichtig ist nur: erst die Ausführung des Gedankens durch die Handlung gibt dem Gedanken Substanz und macht ihn zu einem wirklichen Teil der Person. Nur der “Täter des Wortes” wird “selig sein in seiner Tat”.

Aber ich will nicht korrekt sein. Theologische oder philosophische Korrektheit hat zu Genüge ihre Sterilität erwiesen. Wir brauchen Steine des Anstoßes.

Wollte ich widerspruchsfrei sein, schriebe ich wie folgt:

Du musst überhaupt nichts tun. Es ist das Wort, das alles in dir vollbringt. Nicht du lebst (handelst) nach der Bibel, sondern das Wort lebt in dir. Fülle dein Denken mit ihm, und es bringt gute Frucht hervor. (So habe ich an anderer Stelle geschrieben. Dazu stehe ich immer noch uneingeschränkt.)

Aber ich will auch nicht widerspruchsfrei sein. Widerspruchsfreie Theologie harmonisiert die Wahrheit bis zur Unkenntlichkeit. Wir brauchen ärgerliche Paradoxien.

Deshalb behaupte ich einseitig, übertreibend, unkorrekt, anstößig und widerspruchsvoll: Vor dem Denken kommt das Handeln. Ich meine es ernst. Und ich werde es gut begründen illustrieren.

Wir leben in einem Land voller Konferenzen, Kassetten, Bücher, Gedanken, Konzepte, Strategien, Diskussionen, Blogs und wer weiß was noch. Wir müssten das erneuertste - Günter, ist dieser Superlativ zulässig? - Land unter dem Himmel sein. Wir sind es nicht. Meine Beobachtung: alle diese Konferenzen, Kassetten, Bücher, Gedanken, Konzepte, Strategien, Diskussionen, Blogs und wer weiß was noch verändern den nicht, der nicht bereits mit neuem Tun begonnen hat. Er versteht sie nicht einmal wirklich. Sie sind für ihn nichts als weitere Gedanken unter schon gedachten Gedanken. Nur wer bereits aufgestanden ist und tut, was er noch nie getan hat, aus Sehnsucht oder aus Not, wird die neue Zeit ergreifen. Wer allerdings mit dem neuen Tun begonnen hat, dem sind alle diese Konferenzen, Kassetten, Bücher, Gedanken, Konzepte, Strategien, Diskussionen, Blogs und wer weiß was noch Kompass und Wegzehrung.

Ich muss nicht recht behalten. Aber ich will die falsche Selbstverständlichkeit in Frage stellen (und wo möglich exekutieren), mit der jederman davon auszugehen scheint, dass neue Konferenzen, Kassetten, Bücher, Gedanken, Konzepte, Strategien, Diskussionen, Blogs und wer weiß was noch die Lösung für unsere Probleme bringen. Die Lösung für unsere Probleme beginnt, wo Leute etwas tun, was sie noch nie getan haben.

Schwestern und Brüder, zersägt den “Grünen Tisch”, an dem wir die Welt verändern wollen. Vielleicht kann man aus seinem Holz ein Feuer machen, an dem sich wenigstens einer wärmt.

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