Mittwoch, 7. März 2012

Richtige Lehre

Hier mal wieder anen älteren Artikel von Haso



Himmel oder Hölle? (Warum ich fast nichts von dem glaube, was Christen über die Endzeit lehren)

Beim Thema Endzeit drängt es mich, wie meine Leser gemerkt haben dürften, zu irritieren, zu karikieren und zu provozieren zum Nachdenken anzuregen. Die Eschatologie ist nicht der Christen Ruhmesblatt. Ich bezweifle, ob in irgendeinem anderen Bereich gläubiger Lehre mehr Unhaltbares vertreten wurde als in diesem. Der Schaden sitzt tief, und es geht um mehr als nur die richtige Auslegung und Zuordnung bestimmter Bibelstellen. Ich beginne meine Polemik mit der Bitte an meine Leser, sie nicht persönlich zu nehmen, auch wenn die Kühe, die ich schlachten will, ihnen heilig sind.

Die Schwäche der Eschatologie ist eigentlich die Schwäche der Systematischen Theologie. Gibt die Bibel es wirklich her, zu einer logisch geordneten Weltanschauung systematisiert zu werden? Sie ist ein Buch, das zu weiten Teilen aus narrativen, poetischen und bildhaften Texten besteht und dessen Lehrabschnitte meist situationsbedingt sind und als Antwort auf konkrete Anlässe geschrieben wurden. Kann solch ein Buch das Material für eine geschlossene Weltanschauung liefern? Der Systematische Theologe gleicht einem Mann, der aus einem Steinbruch lauter naturbelassenes Baumaterial nimmt, daraus geschickt ein wohlgestaltetes Haus errichtet und beim Schlussstein aus lauter Freude über die gelungene Form meint, nun habe er die “wahre Aussageabsicht” des Steinbruchs dargestellt. Wohl ist alles Material “steinbruchtreu”, doch das fertige Gebäude verrät mehr über den Baumeister als über den Schöpfer der Steine.

Die (lehrhaften) Ausagen der Bibel sind eben kein Puzzle, bei dem man buntgemischte Teile zunächst sortiert (”das Wort der Wahrheit recht teilt”) und anschließend mit Randstücken (”Belegstellen”) den Rahmen zusammenstellt, in den sich wunderbarerweise alle anderen Teile einfügen, wenn nur jedes an seinen Platz kommt. Sie gleichen eher dem Steinbruch, denn es geht eben bei keinem theologischen System alles auf und es gibt immer noch Aussagen, die in ihm keinen Platz gefunden haben. Am Ende verrät das entstandene Bauwerk zum Beispiel mehr über Herrn Scofield als über den wiederkommenden Herrn.

Meine Beobachtung ist: systematische Theologen klassischen Zuschnitts machen mindestens von einem der beiden folgenden Kunstgriffe Gebrauch.

1. Aus Eins mach Zwei

In ihrem Bestreben, die Dinge zu harmonisieren, stoßen Theologen auf “widersprüchliche” Aussagen zu einem Gegenstand. Folglich können diese Aussagen sich gar nicht auf denselben Gegenstand beziehen, denn die Bibel ist widerspruchsfrei. Und schon hat man nicht einen, sondern zwei Gegenstände.

Bereits Calvin spottete über Bibelausleger, die aufgrund der Tatsache, dass die Heilung des Bartimäus bei einem Evangelisten geschah, als Jesus Jericho verließ, bei einem anderen, als er sich der Stadt näherte, und dass einmal von einem und einmal von zwei Geheilten berichtet wird, am Ende vier verschiedene Heilungen konstruierten.

Ernsthafter ist folgendes Beispiel. Jesus sagt, dass die an ihn Gläubigen “nicht ins Gericht” kommen (Johannes 5,24). Paulus schreibt, dass wir alle “vor dem Richterstuhl Christi offenbar werden müssen” (2. Korinther 5,10) . Anstatt sich von beiden Wahrheiten beeindrucken zu lassen (wir entgehen den Konsequenzen unserer Sünde, aber nicht der Wahrheit über unser Leben), folgert der Systematiker: wenn wir nicht ins “Gericht” kommen, aber dennoch vor dem “Richterstuhl” stehen, dann kann es sich nicht um dasselbe Gericht handeln. Und schon sind aus dem einen Weltgericht ein “Strafgericht” und ein “Preisgericht” hervorgegangen. Die Vermehrung der Endgerichte ist damit keineswegs abgeschlossen, und schließlich muss die Menschheit auf dem Weg ins Neue Zeitalter durch ebensoviele Instanzen hindurch wie der Kleine Mann, der sich dank einer guten Rechtschutzversicherung vom Amtsgericht bis zum Bundesgerichtshof durchprozessiert, bis er endgültig erfährt, wie es um sein Recht steht.

2. Was nicht passt, wird “ausgelegt”

Jede Theologie hat ihre “Grundsteine”, an denen nicht gerüttelt wird. Wenn biblische Aussagen auftauchen, die sich nicht nach diesem Grundstein richten, werden sie bearbeitet, bis sie passen. Der hermeneutische Hammer lautet: “Die Bibel legt sich selbst aus.” Was in diesem Fall gleichbedeutend ist mit folgendem Verfahren: “Da ich von anderen Bibelstellen bereits weiß, was die Bibel zu einem bestimmten Thema sagt, kann diese Stelle nicht das meinen, was dort steht, sondern ich lege sie im Lichte dessen aus, was schon feststeht.” Den systematischen Theologen alter Schule müsste ich erst noch treffen, bei dem ich nicht Bibelstellen finde, die er aufrecht stehen lässt, und solche, die er biegt, damit sie zu den aufrechten passen. (Nebenbei: dass die Bibel sich selbst auslegt, vertrete auch ich. Das Gesamtzeugnis der Schrift wirft Licht auf einzelne Aussagen, aber es verbiegt sie nicht.)

Wenn ein reformierter Kommentator auf Stellen wie folgende stößt: “Wer da will, der komme”, fügt er reflexartig den Nachsatz hinzu: “Aber nur der wird wollen, dem es von Gott geschenkt wird.” Bibelstellen, die von der souveränen Erwählung durch Gott reden, bleiben bei ihm “aufrecht” stehen, Bibelstellen, die vom menschlichen Willen reden, werden durch die Erwählung “gebogen”, “ausgelegt” oder näher qualifiziert. Bei einem Arminianer ist es umgekehrt. Wenn er auf biblische Aussagen stößt, die von der Erwählung der Gläubigen handeln, erklärt er ebenso reflexartig: “Natürlich geschieht solche Erwählung nicht ohne Bezug auf unsere Entscheidung.” Auch bei ihm steht und biegt sich das Wort, nur nach der anderen Richtung. Wenn ich mich zwischen beiden entscheiden müsste, wäre ich Calvinist. Aber warum lassen wir nicht beides “aufrecht” stehen und freuen uns, dass Gott ein wunderbar paradoxes Universum geschaffen hat, in dem das Licht gleichzeitig Welle und Teilchen ist, auch wenn das in unseren Kopf genauso wenig hineingeht wie die Erwählung.

Ich glaube an die Einheit und Wahrheit von Gottes Wort, aber seine Widerspruchsfreiheit erschließt sich nicht auf der Ebene menschlicher Logik, und was uns widersprüchlich vorkommt, mag dennoch beides wahr sein.

3. Eschatologische Systeme

Beide Verfahren finden in der Eschatologie ihre Verwendung. Ich freue mich darauf, dass Jesus “das andere Mal” kommt - “denen, die auf ihn warten, zum Heil” (Hebräer 9,28). Davon ist in der Schrift oft die Rede. Doch wer aus den Gleichnissen, Apokalypsen, poetischen Texten und situationsbezogenen Lehren der Bibel ein stimmiges System, sozusagen eine vorgezogene Reportage der Endzeitereignisse, konstruieren will, stellt fest, dass das biblische Material sich gegen solche Systematisierung sperrt. Und schon wird aus dem “anderen Mal” ein zweites Mal, dem ein drittes folgt, und ich erfahre aus bestimmten Büchern, dass Jesus vor der großen Trübsal “heimlich” wiederkommt, vielleicht aber auch erst dreieinhalb Jahre später, auf jeden Fall erneut nach sieben Jahren. Was am Ende des Tausendjährigen Reiches geschieht, habe ich nicht wirklich verstanden. Kommt Jesus noch einmal, oder besitzt der bereits wiedergekehrte und auf der Erde regierende Jesus so eingeschränkte Autorität, dass ein freigelassener Teufel ihm eine Schlacht abverlangen kann? (Würde die Christenheit mit Genesis 1-2 und den Schöpfungspsalmen so umgehen, wie sie es mit den Endzeittexten tut, dann wäre die Erde inzwischen drei- bis siebenmal erschaffen worden, und möglicherweise jedesmal ex nihilo.)

Von der Vervielfältigung des Weltgerichts war schon die Rede. Weil scheinbar nicht alle biblischen Aussagen zum Endgericht stimmig sind, gibt es inzwischen Gerichte über die Nationen, über Israel, vor und nach bestimmten Ereignissen, über die Gläubigen usw. Andere variable Betonungen der Schrift haben eine Vielzahl an Dispensationen hervorgebracht. Am Ende ist aus dem Buch mit den sieben Siegeln eine Geheimwissenschaft mit siebzigmal sieben Siegeln geworden, nur dass der, der sie öffnet, nicht mehr der Herr ist, sondern der Endzeit-Experte.

Auch das Verfahren der “Auslegung” nicht systemkompatibler Bibelstellen findet Anwendung. Für den einen sind Aussagen wie die, dass der Gläubige “nicht ins Gericht kommt” und niemand ihn “aus der Hand des Herrn reißen” kann, die Basis. “Einmal in Gnaden, immer in Gnaden” ist seine Devise, und alle Aussagen der Schrift, dass auch der Nachfolger Jesu scheitern könnte, deutet er anders. Es sind ihm hypothetische Fälle, oder sie beziehen sich nicht aufs Endgericht, sondern auf die Entrückung, oder er biegt sie anders.

Wer hingegen die Schule “Nur wer bis ans Ende beharrt, wird selig” besucht hat, dem ist die Verlierbarkeit und Bedingtheit des Heils unanfechtbares Axiom. Stößt er auf die Aussage, dass uns “nichts aus Gottes Hand reißen kann”, fügt er hinzu, “außer uns selbst”, obwohl Paulus nicht “außer uns selbst” hinzugefügt hat. Schließlich hat man seine “aufrechten” und seine “biegsamen” Worte.

Beiden gemeinsam ist, dass zu ihrem Grundkontingent an Wahrheit gehört, nur der an Jesus Gläubige werde gerettet werden und diese Rettung müsse zu Lebzeiten erfolgen. Es gibt ein “zu spät”. Wie reagieren sie auf folgende Worte Jesu?

Darum sage ich euch: Alle Sünde und Lästerung wird den Menschen vergeben; aber die Lästerung gegen den Geist wird nicht vergeben.
Und wer etwas redet gegen den Menschensohn, dem wird es vergeben; aber wer etwas redet gegen den Heiligen Geist, dem wird’s nicht vergeben, weder in dieser noch in jener Welt. (Matthäus 12,31-32)

Der unbedarfte Bibelleser könnte auf die Idee kommen, mit dieser Aussage sei eine Vergebung in der zukünftigen Welt in Aussicht gestellt. Er könnte darauf hoffen, letztlich werde jede Sünde außer der endgültigen Festlegung des Menschen gegen Gott vergeben werden. Doch der gläubige Systematiker weiß bereits, dass Jesus nicht gemeint hat, was er sagte. (Warum hat er dann nicht gesagt, was er meinte?)

Also legt er aus. Die Aussage, dass “alle Sünde und Lästerung vergeben” wird, bezeichnet nur eine Möglichkeit. Natürlich wird sie nur dann vergeben, wenn der Betreffende bereut, bekennt und umkehrt. Und solche Umkehr muss zu Lebzeiten geschehen, denn danach ist das Schicksal eines Menschen entschieden. Die Worte “weder in dieser noch in jener Welt” sind bloßes Stilmittel.

Rein hypothetisch (ich will hier nicht Hasos alternatives System vorstellen, sondern heilsames Ärgernis geben) könnte man auch umgekehrt vorgehen: Matthäus 12,31-32 gelten als klare, tonangebende Worte Jesu. Wenn man nun in der Schrift auf die Aussage stößt,

Die werden Strafe erleiden, das ewige Verderben, vom Angesicht des Herrn her und von seiner herrlichen Macht (2. Thessalonicher 1,9)

wäre die Konsequenz: da Jesus gesagt hat, dass es letztlich für alle Sünden außer der gegen den Heiligen Geist Vergebung gibt, wird auch das “ewige Verderben” dieser Leute überwunden werden. Und wenn sie die Vergebung nicht in dieser Welt empfangen, dann in jener. Und wo die Bibel von “ewig” spricht, ist mit diesem Stilmittel eine lange Dauer gemeint.

Wie gesagt, das ist nicht meine Theologie, und ich nehme 2. Thessalonicher 1,9 ernster als diese flapsige Karikatur. Ich bitte nur meine evangelikalen Freunde, Matthäus 12,31-32 ebenso ernst zu nehmen und nicht mit einer exegetischen Handbewegung vom Tisch zu fegen.

Vom rechten Warten auf Christus

Letztlich geht es mir nicht um theologische Korrekturen. Es geht mir darum, unsere Leidenschaft für die letzten Dinge wiederzugewinnen. Von dem Kirchenvater Hieronymus wird berichtet, er habe täglich mit Tränen in den Augen zum Himmel aufgeschaut und sich nach der Wiederkunft des Herrn gesehnt. Solche Haltung finde ich selten in diesen Tagen. Wo bestimmte Endzeitlehren unterwegs sind, folgen ihnen häufig Streit, Spekulation oder Angst auf dem Fuß. Es gibt mehr Christen, als wir meinen, die nicht “seine Erscheinung liebhaben”, sondern sich fürchten, ob sie bei der Entrückung dabei sind und ihnen die “Große Trübsal” erspart bleibt - die ich mehr für einen Aspekt als für eine Periode der Geschichte halte.

Der Himmel und die zukünftige Welt Gottes spielen in meiner Frömmigkeit eine viel größere Rolle als fast jedes andere Thema. Ich bin “dort” zu Hause. Ich warte auf jenen Tag, wo er kommen wird und alles wiederherstellen wird. Ich freue mich auf den neuen Himmel und die neue Erde, in denen Gerechtigkeit wohnt und in denen getröstet werden, die in dieser Welt gelitten haben. Und wenn ich nicht Frau und Kinder hätte und unseren Städten ein wenig Transformation gut täte, wäre mein Gebet: “Jesus, nimm mich zu dir.” So aber bleibe ich hier, um in diesem Äon schon im Geist und mit den Kräften des zukünftigen Äon zu leben. “Amen, ja, komm, Herr Jesus!” Die “letzten Dinge” sind meine Hoffnung, nicht mein System.


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