Freitag, 30. Oktober 2009

Das Geschenk der Buße

Ich möchte gerne bevor ich eigene Gedanken schreibe einen Artikel von haso posten, indem er persönliches berichtet.

Echte Sündenerkenntnis kommt in der Gegenwart unseres Papas.




2006

Was meinen wir, wenn wir sagen, etwas sei Sünde 4

Teil 4 meiner Reihe (hier Teil 1, 2 und 3 ) habe ich etwas vor mir hergeschoben. Ich finde es nicht leicht, meine heutigen Gedanken verständlich zu machen. Nun gebe ich mir endlich den Ruck, den ich brauche, und schreibe.

Wie erkennt man Sünde?

“Sünde” ist nicht bloß eine juristische, moralische, ethische, theologische oder rationale Kategorie. Deshalb weiß, wer eine “zutreffende” Definition von “Sünde” hat und “richtig” identifizieren kann, was an bestimmten Haltungen und Verhaltensweisen “sündig” ist, noch lange nicht, worum es wirklich geht. Sünde ist eine “existentielle” und eine “geistliche” Kategorie, was bedeutet, dass man Sünde letztlich nur mit dem “Herzen” und durch “Offenbarung” erkennen kann. (Die zahlreichen Anführungszeichen signalisieren, dass jeder dieser Begriffe schon unterschiedlich verstanden werden kann, was meine heutige Aufgabe nicht erleichtert.)

Ein Beispiel kann verdeutlichen, was ich meine. In der Regel glauben Christen, dass Gott uns Menschen liebt. Zumindest glauben sie es mit dem Kopf. Aber viele haben festgestellt, wie weit der Weg vom Kopf zum Herzen ist. Zu wissen, dass Gott uns liebt, und eine Definition von Liebe zu haben, bedeutet noch lange nicht, dass unser Herz wirklich von der Liebe Gottes berührt ist. Immer wieder habe ich beobachtet (bei mir selbst und bei vielen anderen), wie sich das Leben von Menschen verändert hat, wenn die Liebe Gottes zu einer Erfahrung wurde. Auf einmal merken sie, dass sie Gott(es Liebe) nur vom Hörensagen kannten, aber nun hat ihr Herz ihn (und seine Liebe) gesehen (nach Hiob 42,5). Vor solchen Erfahrungen weiß man nicht wirklich, was Gottes Liebe ist, und es kann einem auch keiner erklären.

Ähnlich ist es mit Sünde. Man kann darüber reden und schreiben, soviel man will, doch eigentlich kann kein Mensch verstehen, was Sünde wirklich ist, solange er nicht eine Gottesbegegnung oder Gottesberührung (also eine “Offenbarung”) hat, in der ihm die Sünde gezeigt wurde. Paulus drückt das so aus:

Denn die Betrübnis nach Gottes Sinn bewirkt eine nie zu bereuende Buße zum Heil; die Betrübnis der Welt aber bewirkt den Tod. (2. Korinther 7,10)

Es gibt viele “tödliche” Erfahrung mit “Sünde”:

  • bedrückende Schuldgefühle;

  • erfolglose Besserungsversuche und gute Vorsätze;

  • moralische Verurteilung und Ausgrenzung.

Wenn diese und änliche Haltungen bei denen, die “gesündigt” haben, oder denen, die ihnen ihre “Sünde” vorhalten, entstehen, ist “Betrübnis nach Gottes Sinn” und damit echtes Verständnis von Sünde sehr weit entfernt.

Wenn hingegen Gott uns unsere Sünde “zeigt”, entsteht eine andere Art von Traurigkeit. Plötzlich ist uns sonnenklar, was an unserem Verhalten das eigentlich “Hässliche” ist. Wir sehnen uns danach, anders zu sein. Und selbst wenn solch eine Erfahrung vorübergehend bitter ist, wird sie für uns zu einem Schatz, den wir nicht mehr missen möchten - sie “bewirkt eine nie zu bereuende Umkehr zum Heil”.

Zwei persönliche Erfahrungen. Als ich Christ wurde, lagen Jahre hinter mir, die man auch nach toleranten Gesichtspunkten als recht “sündig” bezeichnen würde. Ich hatte Menschen nachhaltig und teilweise unwiderruflich verletzt und geschädigt. Vom Kopf her wusste ich, wie schlimm mein Verhalten gewesen war. Aber für mein Empfinden waren es “gefühlte Bagatelldelikte”.

Ich war damals zu traumatisiert, um mich der Tragweite meiner Vergangenheit stellen zu können. Und Gott verschonte mich damit - bis er einige Monate nach meiner Bekehrung anfing, mich mit ihr zu konfrontieren. Dazu wählte er eine Situation, in der meine Mutter kräftemäßig am Ende war. Plötzlich “erkannte” ich, wie sehr ich sie in all den Jahren belastet hatte. Von einem Moment zum anderen wuchs der Maulwurfhügel meiner Schuld zu einem riesigen Berg.

Bemerkenswerterweise war diese Erfahrung frei von aller Verdammnis und Härte. Ich fühlte mich gleichzeitig von Gott geliebt und wusste, dass mir alles vergeben war. Aber ich wusste auf einmal auch, wie gravierend das war, was mir vergeben worden war. Ich war auf eine Weise zutiefst erschüttert, für die ich noch heute dankbar bin. Dieser Tag hat mich verändert und etwas in mein Leben gebracht, dass ich nicht wieder hergeben möchte.

Jahre später war ich junger Pastor. Manchmal, wenn ich mit gleichaltrigen Freunden zusammen war, zogen wir über andere Leute her. Sachlich war manche Kritik vielleicht berechtigt. Aber es war eine Dosis Verachtung und Spott dabei, wenn wir unsere Sprüche machten. God was not amused.

Eines Morgens “erwischte” der Heilige Geist mich in meinem Büro. Plötzlich standen meine Bemerkungen vor mir, und ich wurde von einer großen Traurigkeit erfüllt. Eine halbe Stunde heulte ich Rotz und Wasser über meine Worte. Auch diese Erfahrung ist für mich etwas Kostbares. Sie hat mich weiter verändert. Es gibt eine feine Grenze zwischen Kritik und Widerstand (die oft berechtigt und manchmal geboten sind) und sündhafter Verurteilung oder Verachtung. Manchmal überschreite ich diese Grenze noch, aber generell spüre ich, dass ich auch die Menschen respektiere und achte, gegen die ich Position beziehe(n muss).

Von Herz zu Herz

Wenn also Sünde nur mit dem Herzen richtig erkannt werden kann, dann ist eine notwendige Voraussetzung, über Sünde zu sprechen, dass man das Herz des anderen erreicht.

  • Es ist (sofern man es nicht zum Schutz Schwächerer tun muss) meist falsch, jemanden auf Sünde anzusprechen, dessen Herz man noch nicht gewonnen hat - der noch nicht eine “Erfahrung” von Gottes Liebe und von unserer Liebe gemacht hat.

  • Wir selbst brauchen ein reines Herz, d.h. wir müssen sicher sein, dass wir wirklich um des anderen willen handeln. (Wer ein abstraktes Heiligkeitsprinzip aufrechterhalten will, wer sich über das Verhalten eines anderen aufregt und ihn “auf Vordermann” bringen will, wer aggressive oder moralische Untertöne hat, wer religiös drauf ist, wer nach “mehr Buße” schreit, ist höchst ungeeignet, jemanden auf Sünde anzusprechen.)

  • Es muss in einem Kontext geschehen, indem das Herz des anderen berührt werden kann.

Paulus ist ein gutes Beispiel für den letzten Punkt. Oft wird er in frommen Kreisen als der kompromisslose Vertreter von Wahrheit und Heiligkeit angesehen. Man weist darauf hin, wie er die Galater zusammengeschissen hat, und plädiert für ähnliche Klarheit und Eindeutigkeit. Wer Paulus so einseitig interpretiert (hier bin auch ich für Ausgewogenheit), hat ihn nicht verstanden. An die Korinther schreibt Paulus:

Habe ich nun, indem ich mir dieses vornahm, etwa leichtfertig gehandelt? Oder was ich mir vornehme, nehme ich mir das nach dem Fleisch vor, damit bei mir das Ja-ja und das Nein-nein gleichzeitig wären? (2. Korinther 1,17)

Paulus hatte eine Reise nach Korinth angekündigt, dann aber nicht unternommen. Man warf ihm Wortbrüchigkeit vor. Was war der Grund für seine Reisestornierung?

Ich aber rufe Gott zum Zeugen an gegen meine Seele, daß ich, um euch zu schonen, noch nicht nach Korinth gekommen bin. (2. Korinther 1,23)

In Korinth liefen einige Dinge nicht rund. Man könnte das Sünde nennen. Paulus wusste, diese Dinge würden auf die Tagesordnung kommen, wenn er nach Korinth käme. Und er wusste, dass die Situation der Korinther und ihre Beziehung zu ihm gerade so war, dass er nicht ihr Herz erreichen (und sie zu der göttlichen Traurigkeit, von der eben die Rede war) bringen könnte, wenn er jetzt zu ihnen ginge.

Paulus war also eher bereit, sein Wort nicht zu halten und seine eigene Integrität in Zweifel ziehen zu lassen, als Leute in einer Situation auf Sünde anzusprechen, die nicht produktiv sein konnte. Er ließ lieber einen Schatten auf sich fallen, als einen auf andere zu werfen.

Mich bedrückt Sünde mehr, als der Leser meiner heiteren Blogeinträge vermuten mag. Ich meine zu sehen, wieviel Verletzungen sie anrichtet, wieviel Gutes sie verhindert. Und ich meine immer wieder zu sehen, dass es Bereiche von Sünde gibt, die ich Leuten nicht zeigen kann. Entweder würden sie gar nichts dabei finden; oder sie würden in die “Traurigkeit der Welt” verfallen, von der auch schon die Rede war, und sich selbst verurteilen; oder sie würden sich von mir verurteilt fühlen. Also halte ich die Klappe und liebe sie.

Aber ich sehne mich danach, dass der Heilige Geist in einer ganz neuen Tiefenwirkung als der “Überführende” tätig wird; dass Leute so tief erschüttert werden, wie noch nie zuvor in ihrem Leben; und dass sie sich gleichzeitig so tief geliebt fühlen, wie noch nie in ihrem Leben. Erst dann kann man eigentlich wissen, worüber man redet, wenn man sagt, etwas sei Sünde.

Zur Vertiefung: Hiob 42,1-6; Jesaja 6,1-8; Lukas 5,1-11; Lukas 22,61-62; Apostelgeschichte 2,37

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