Samstag, 16. Oktober 2010

Das Kreuz und der Geist

Noch immer aus dem E-buch von Andreas Hornug.

Also was ich hier poste ist nicht von mir, aber ich finde es sehr gut



3. KREUZ UND GEIST: Durch die Schwachheit zur Kraft

Pietisten betonen tendenziell das Kreuzesgeschehen, Charismatiker das Pfingstgeschehen. Auch das Neue Testament spiegelt diese unterschiedliche Betonung wieder: Lukas interessiert sich mehr für das Wirken und Erfahren des Heiligen Geistes als für die Bedeutung des Kreuzes. Paulus und Johannes wiederum schaffen eine enge Beziehung zwischen Kreuz und Geist.

Worin besteht der Konflikt? Es gibt die Gefahr, beim Kreuz stehenzubleiben; und es gibt die Gefahr, das Kreuz zu umgehen und zu schnell zur Geisterfahrung zu kommen.

Der englische protestantische Theologe Tom Smail, der in seinem Werk über die charismatische Erneuerung(78)

versucht, seine charismatische Erfahrung mit seiner protestantischen Tradition zu verbinden, stellt zwei Modelle vor: Das "Pfingst-Modell" und das "Passah-Modell".

Im Pfingst-Modell(79) wird christliche Erneuerung in erster Linie von daher gedeutet, was am Pfingsttag geschah. Der Pfingsttag wird als der zweite der Anfänge gesehen, die Gott mit seinem Volk tat. Das Werk Christi am Kreuz ist nach diesem Modell eine unverzichtbare Vorbereitung. Über dieses muß der Mensch jedoch hinaustreten, will er in das Pfingstgeschehen eintreten, in eine neue und übernatürliche Welt, in deren Zentrum nicht mehr Jesus steht, sondern der Heilige Geist und die Manifestationen seiner Kraft.

Der erste Anfang bezieht sich dann auf etwas, das Jesus vor langer Zeit getan hat, der zweite auf das, was der heilige Geist heute tut. Pfingsten wird so als das zweite Stadium gesehen, höher als das erste, und in dem wir uns als in einer übernatürlichen Welt lebend sehen, von Triumph zu Triumph gehen, und das schwache verzweifelte Leiden Golgathas weit zurücklassen.

Smail schlägt deshalb vor, nach einem alternativen Modell auszuschauen, das all das bewahren wird, was gut ist im pfingstlichen Modell, aber nicht seine Tendenz übernimmt, die Erneuerung im Geist von der Errettung durch das Kreuz zu trennen. Denn das Fleisch wolle immer das Kreuz umgehen.

Dem Pfingst-Modell stellt Smail dann das Passa-Modell(80) gegenüber. Hier geht er weniger von Lukas, dafür stärker von Johannes und Paulus aus. Diesen sei eine enge Verbindung zwischen dem Leiden Jesu und dem Kommen des Heiligen Geistes gelungen. Paulus erwähnt in 1Kor 1,22ff., daß die Juden zwar Zeichen forderten und er nichts als den Gekreuzigten predigen würde. Er fährt aber gleich fort, daß er selbst "in Erweisung des Geistes und der Kraft" gekommen war (1Kor 2,4f). Smail kommentiert: "Aber paradoxerweise haben für ihn Weisheit und Kraft ihren Platz in dem scheinbar sinnlosen und kraftlosen Leiden Jesu am Kreuz. Die Kraft, die vom Kreuz her ausgeübt wird, ist für Paulus die mächtigste Kraft im ganzen Universum."(81)

Diese Kraft wurde in Korinth wirksam, sie hat die Gemeinde gegründet und gebaut und sie äußert sich in Gaben. 1Kor 2 leugne nicht charismatische Kraft sondern bestätige sie, aber als eine Kraft, die vom Kreuz kommt und freigesetzt wird durch die Botschaft des Kreuzes. Auch der Duktus des Korinterbriefes zeige, daß der Gekreuzigte nicht das einzige Thema von Paulus sei: Kap. 15 behandelt die Auferstehung, Kap 11-14 den Geist und die Gaben. Der Geist kommt vom Kreuz, der Weg des Kreuzes und der Weg des Geistes sind derselbe. "Der Geist leitet uns, wie er Jesus leitete, zur Herrlichkeit geformt im Leiden, zum Sieg gewonnen durch Niederlage, zur Kraft, die in Schwachheit ausgeübt wird... Dieser Geist wird uns nie vom Kreuz Christi oder darüber hinaus führen, sondern wird uns ständig zu ihm zurückbringen".(82)

Ähnlich schreibt auch C. P. Wagner, selbst ein Vertreter des "Power-Evangelism": "Die Kommunikation des Evangeliums bezieht ein delikates Gleichgewicht von Schwachheit und Kraft mit ein. Paulus sagt zu den Korinthern: 'Zudem kam ich in Schwäche und in Furcht, zitternd und bebend zu euch.' Er fährt dann fort, daß seine Predigt nicht in klugen Worten besteht sondern 'mit dem Erweis von Geist und Kraft verbunden ist' (1Kor 2,2-5)."(83)

Zusammenfassung

Die Gefahr einer Überbetonung des Kreuzes besteht darin, daß das Christenleben zur Qual wird. Die Gefahr einer Überbetonung des Geistes besteht darin, daß uns Gottes Gericht erwartet, weil wir uns nicht vollständig dem Kreuz ausgesetzt haben. Kreuz und Geist begleiten uns unser Christenleben lang. Wenn wir wirklich Gott hingegeben dienen und offen für ihn sind, bringt er immer wieder neu verborgene Haltungen, Motive etc. ans Licht. Diese müssen durch Buße ans Kreuz. An der Stelle kommt der Heilige Geist mit seinen Früchten und auch mit seinen Gaben, denn wir sind gereinigt, um mehr Frucht zu bringen (Joh 15,2). Und wenn wir Frucht bringen, reinigt Gott noch mehr (ebd.), und schon kommen wieder das Kreuz und der Geist. Kreuz und Geist gehören zusammen.

Wir müssen auch von einem Schwachheit-Kraft-Dualismus wegkommen. Beide Betonungen sind korrekt. Die menschliche Schwachheit und die Schwachheit Jesu am Kreuz kann nicht genug betont werden - wo sie unterbetont wird, da wird der Mensch unabhängig von Gott und bringt keine Frucht für ihn. Aber genauso die immense Kraft Gottes, die gerade durch menschliche Schwachheit und durch den Tod Jesu zur Wirkung kam und kommt - auch diese kann nicht genug betont werden. Diese Kraft brachte und bringt große Siege hervor. Die Bibel sieht beide in einem spannungsvollen Verhältnis, nicht aber in einem Gegensatz.



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