Donnerstag, 14. Oktober 2010

Bibel und Geist teil 2


Luther und die Schwärmer

Luther hatte gegen viele Fronten zu kämpfen. Auf der einen Seite stand die katholische Kirche mit Wundern wie Marienerscheinungen, auf der anderen Seite täuferische Gruppen, die angaben, direkte Offenbarungen von Gott zu erhalten. Wer aber waren die sog. Schwärmer? Luther selbst bezeichnete alle die als Schwärmer, die nicht seiner Meinung waren, also auch die Katholiken und die Protestanten. Solch undifferenzierte Pauschalverurteilung findet sich auch heute noch mancherorts, nur daß man heute mehr das Wort "Sekten" wie das Wort "Schwärmer" verwendet. Es gab jedoch große Unterschiede bei den Gruppierungen, die zur Zeit Luthers versuchten, Reformen einzuführen.(70)

Da gab es zum Einen die sog. Täufer oder Wieder-Täufer, die in der Schule Luthers und Zwinglis versuchten, die Kirche anhand des Maßstabes der Bibel zu erneuern - nur konsequenter. Sie formten Gemeinden derer, die eine bewußte Entscheidung zum Glauben an Jesus und seiner Nachfolge getroffen hatten und diese Entscheidung durch die (Erwachsenen-)Taufe besiegelt hatten. Es war quasi die erste Freikirche, die neben der Volkskirche entstand.(71)

Bürgergemeinde und Christengemeinde wurden hier getrennt, die jahrhundertealte enge Verquickung von Kirche und Staat aufgelöst. Dies löste eine zornige Verfolgung aus, und viele wurden getötet. Aber das Blut der Märtyrer ist der Same der Kirche: die Täuferbewegung breitete sich rasant aus.

Eine weitere Gruppe zur Zeit Luthers, die auch die Großtaufe praktizierte, waren die sog. "Schwärmer". Sie stellten persönliche, innere Offenbarungen des Geistes neben oder gar über die Bibel. Einer von ihnen mit dem Namen Karlstadt vertrat die Auffassung, daß derjenige, der das innere Zeugnis des Heiligen Geistes besitzt, "das 'äußere' Zeugnis der Schrift nicht mehr benötige."(72)

Die Verbindung von Wort und Geist wurde also bei einigen dieser Gruppierungen zerbrochen. Diese Leute versuchten auch, das Erkannte in die Tat umzusetzen - manche sogar mit Waffengewalt. So erklärte es der Pfarrer Thomas Münzer für die Pflicht der Heiligen, die reine Gottesherrschaft mit dem Schwert in der Hand durchzuführen. Seine sozialpolitischen Vorstellungen verbanden sich dann mit dem Bauernaufstand. Münzer stellte sich an die Spitze aufrührerischer Bauern, um einen Aufstand gegen die Obrigkeit durchzuführen. Der Aufstand wurde jedoch niedergeschlagen. Auch im sog. "Täuferreich zu Münster" gab es häßliche Ausschreitungen.

Wie die Täufer, so praktizierten auch die Schwärmer die Erwachsenentaufe, und deshalb wurden sie oft mit allen anderen Täufern in einen Topf geworfen. Ähnlich wie in der Anfangszeit der Pfingstbewegung in Deutschland sehen wir hier deutsche Gründlichkeit auf beiden Seiten: Überspitzungen bei einigen Radikalen der täuferischen Gruppen und nachfolgend radikale Ablehnung aller täuferischen Gruppen.(73)

So wurde auch die gemäßigte, friedlich gesinnte Mehrheit mitverfolgt, die sich später zu den Mennoniten formierte.

Die Geschehnisse in Mühlhausen und Münster waren ebenso wie diejenigen in Kassel (1907) Entgleisungen, die noch heute als "Trauma" nachwirken und eine starke Vorsicht gegenüber jeder Unmittelbarkeit des Wirkens des Heiligen Geistes bewirken. Die Geschehnisse in Mühlhausen und Münster zeigen die Gefahr einer Lostrennung des Geistes vom Wort. Demgegenüber betonte Luther die enge Verbindung von Geist und Wort. Ja, der Geist wirke nur durch äußere Zeichen, d.h. durch das äußerliche Wort (Predigt und Bibel) und das Sakrament. Luther leugnete aber nicht, daß der Heilige Geist daneben auch unmittelbar an Menschen wirken und zu ihnen reden kann. Dies sei jedoch dem Wirken durch äußerliche Mittel klar nachzuordnen. Die augustinische Ansicht, daß Wunder in der Zeit nach der Kanonsbildung aufgehört haben, sah Luther nicht starr. Vor allem in der Missionssituation, wo das Evangelium zum ersten Mal verkündigt wird, könne es auch heute noch Wunder geben.

Für sich persönlich bat er Gott jedoch, ihm keine Träume und Visionen zu geben. Oskar Föller schreibt: "Weil sie aber nur schwer von satanischen Verführungen zu unterscheiden sind, wünscht Luther keine Sonderoffenbarungen für sich selbst. In der Genesisvorlesung spricht er davon, daß er wie Augustinus mit Gott einen Pakt geschlossen und ihn mehrfach gebeten habe, ihm keine Träume, Visionen oder Engelbotschaften zu senden. Jesus Christus, sein Wort und Sakrament seien ihm genug. Über diese sichtbaren Zeichen hinaus bedürfe es keiner Offenbarungen mehr bis ans Ende der Welt. Das Wort sei im Unterschied zu Träumen etc. unfehlbar und ein sicherer Schirm. Seine abstinente Haltung möchte Luther aber als persönliche Entscheidung gewertet wissen und gleiches nicht anderen vorschreiben."(74)

Luther sagt über sich selbst: "Ich habe oft gesagt, daß ich nicht begehre, daß Gott mir die Gnade sollte verliehen haben, Wunder zu tun, sondern freue mich, daß ich stracks bei dem Wort Gottes bleiben mag und damit umgehen, denn sonst würde man bald sagen: der Teufel tuts durch ihn" (WA 46,753,13-16).

Der amerikanische Theologe R. Lovelace schreibt, nachdem er einige Negativbeispiele von Prophetien aufzählt: "Um solchen Irrtum zu vermeiden, sollten sich die Gläubigen ein lebendiges Bewußtsein für die eigene Fehlbarkeit und für die der anderen Christen bewahren... Christen sollten offen bleiben für die Lenkung durch den Geist, von welchem Teil des Leibes Christi sie auch kommen mag. Dabei sollten sie für alles, was sie annehmen, immer die Bestätigung durch die Vernunft, durch die Schrift und durch das Zeugnis des Geistes in ihrem Herzen suchen. Trotz all dieser Warnungen ...meine ich dennoch, daß es weder klug noch biblisch ist, wenn wir ausschließen, daß es in der Gegenwart Mitteilungen des Heiligen Geistes gibt, die sich in Führung und prophetischen Gaben äußern. Begrenzt man diese Erscheinungen auf das apostolische Zeitalter, so löst man damit zwar einige praktische Probleme der Kirche, aber man schafft sich gleichzeitig viele andere. Man besitzt dafür auch nur eine spekulative theoretische Grundlage, die aber offenichtlich nicht aus dem klaren Schriftsinn gewonnen wurde, sondern aus der Not der Reformatoren entstanden war, die gegen die Papisten und die Enthusiasten [Schwärmer] einen Zweifrontenkrieg führen mußten. Die Betonung der Objektivität durch die Reformatoren entartete zu einer völligen Vernachlässigung der Lehre von dem Heiligen Geist und der Abhängigkeit von ihm. Dies hat wiederum zu enthusiastischen Überreaktionen geführt. Wir werden wahrscheinlich nur dann die Mitte zwischen Erstarrung und Fanatismus erreichen, wenn wir dem Heiligen Geist jenen Platz einräumen, den ihm die Schrift als Baumeister des Reiches Gottes gibt."(75)

Wolfgang Trillhaas wiederum schreibt: "Die Abwehr des Enthusiasmus hat die Kirchen der Reformation wohl am nachhaltigsten beeinflußt, ja es hat sie ihrer Zuversicht, über den Hl. Geist zu klaren und im Leben der Kirche förderlichen Lehraussagen zu kommen, gelähmt. Die Angst vor einer mißbräuchlichen Berufung auf den Heiligen Geist ist zu einer dogmatischen Angst vor dem Heiligen Geist geworden."(76)

Bei den Pfingstlern und Charismatikern findet sich keine generelle Loslösung des Geistes vom Wort. Die Verbindung Wort-Geist ist meistens enger als von außen befürchtet wird. Sicher kann die Verbindung mancherorts noch enger werden. Dennoch ist Kopfermann zuzustimmen, wenn er sagt: "Pfingstler sind weder Sektenleute noch Schwärmer ...denn daß der Heilige Geist an das Wort der Schrift gebunden ist und bleibt, ist für die Pfingstler eine Selbstverständlichkeit."(77)


1 Kommentar:

berlinjc hat gesagt…

Danke für diese Artikel! Finde ich sehr wichtig und hilfreich, auch, wenn ich manches nur überflogen habe. Ich kenne auch beide "Lager". Zuerst war ich in einer "Chari"-Gemeinde, dann in einer pietistischen LKG. Da überdenkt man einiges - von beiden Seiten her gesehen! :-)