Montag, 13. Juli 2009

Offenbarungserkenntnis teil 3

Noch einmal Watchman Nee


Der zweite Schritt: sich einschätzen

Nun kommen wir zu dem auf das Wissen folgenden Schritt, einem Thema, das unter den Kindern Gottes schon einige Verwirrung verursacht hat. Beachtet zunächst einmal den Wortlaut in Römer 6:6: ,,Da wir dies wissen, daß unser alter Mensch samt ihm gekreuzigt worden ist.“ Die Zeitform des Verbs ist sehr kostbar, denn durch sie wird dieses Ereignis zu etwas Vergangenem, Endgültigem und ein für allemal Geschehenem. Unser alter Mensch ist ein für allemal gekreuzigt worden, und dies kann nun nicht mehr rückgängig gemacht werden. Dies müssen wir wissen.

Was folgt nun aber auf dieses Wissen? Schaut euch noch einmal diesen Abschnitt des Römerbriefes an. Die nächste Aufforderung finden wir in Vers 11: ,,Nun schätzt auch ihr euch so ein, daß ihr der Sünde tot seid.“ Dies ist eindeutig die selbstverständliche Folge von Vers 6. Lest diese beiden Verse einmal hintereinander: ,,Da wir dies wissen, daß unser alter Mensch samt ihm gekreuzigt worden ist ... schätzt auch ihr euch so ein, daß ihr ... gestorben seid.“ Dies ist die Reihenfolge. Wenn wir wissen, daß unser alter Mensch mit Christus gekreuzigt worden ist, ergibt sich als nächster Schritt, daß wir uns auch so einschätzen.

Wenn über die Wahrheit unserer Einheit mit Christus gepredigt wird, betont man leider nur zu oft lediglich den zweiten Schritt, nämlich daß wir uns für tot halten sollen, so, als wenn dies der Ausgangspunkt wäre. Als erster Schritt sollte jedoch vielmehr unser Wissen, daß wir tot sind, hervorgehoben werden. In Gottes Wort ist es so klar, daß ,,Wissen“ dem ,,Einschätzen“ vorausgeht.

,,Da wir dies wissen ... schätzt euch ein.“ Diese Reihenfolge ist außerordentlich wichtig. Unser Einschätzen muß auf dem Wissen einer von Gott offenbarten Tatsache beruhen, da sonst der Glaube keine Grundlage hat. Wenn wir das Wissen haben, schätzen wir uns automatisch auch so ein.

Wenn wir die Gläubigen in diesen Tatsachen unterweisen, sollten wir also das Einschätzen nicht überbetonen. Oft versuchen sie, sich ohne das offenbarte Wissen für tot zu halten. Sie haben keine Offenbarung vom Geist empfangen und versuchen dennoch, sich für tot zu halten und geraten dadurch in allerlei Schwierigkeiten. Sobald eine Versuchung kommt, beginnen sie, sich wild entschlossen für tot zu halten: ,,Ich bin tot! Ich bin tot! Ich bin tot!“, doch gerade in jenem Augenblick versagen sie und kommen daraufhin zu dem Schluß: ,,Es funktioniert nicht. Römer 6:11 nützt nichts.“ Und zugegebenermaßen nützt Vers 11 ohne Vers 6 tatsächlich nichts. Wenn wir also nicht mit absoluter Sicherheit wissen, daß wir mit Christus gestorben sind, wird der Kampf immer heftiger, je mehr wir uns einschätzen, und das sichere Ergebnis ist eine Niederlage.

Ich selbst wurde jahrelang nach meiner Bekehrung gelehrt, mich für tot zu halten, und praktizierte dies von 1920 bis 1927.

Je mehr ich mich jedoch einschätzte, der Sünde gestorben zu sein, desto lebendiger war ich ganz eindeutig. Ich konnte einfach nicht glauben, daß ich tot war, und ich konnte meinen Tod auch nicht bewirken. Jedesmal, wenn ich andere um Hilfe bat, wurde ich angewiesen, Römer 6:11 zu lesen, doch je mehr ich Römer 6:11 las und mich für tot zu halten versuchte, desto weiter entfernt erschien mir der Tod – er war einfach unerreichbar. Ich hatte die Lehre, mich für tot zu halten, voll und ganz begriffen, verstand jedoch nicht, warum ich damit nichts erreichte. Ich muß zugeben, daß ich deswegen monatelang Schwierigkeiten hatte.

Ich sagte zum Herrn: ,,Wenn mir dies nicht klar wird, wenn ich diese grundlegende Tatsache nicht sehen kann, werde ich überhaupt nichts mehr tun. Ich werde nicht mehr predigen und dir nicht mehr dienen. Zuerst möchte ich völlige Klarheit haben.“ Das Suchen dauerte Monate. Zuweilen fastete ich sogar, doch ich bekam keine Antwort.

Aber dann kam ein unvergeßlicher Morgen. Ich saß im Obergeschoß an meinem Schreibtisch, las im Wort und betete: ,,Herr, öffne mir die Augen!“ Plötzlich schien das Licht, und ich sah. Ich erkannte meine Einheit mit Christus, ich sah, daß ich in ihm war und daß ich in seinem Tod mit ihm gestorben war. Ich erkannte, daß mein Tod längst der Vergangenheit angehörte und nicht der Zukunft, daß ich genauso wahrhaftig gestorben war wie Christus, da ich in ihn eingeschlossen war, als er starb. Nun endlich begann ich zu sehen. Meine Freude über diese großartige Entdeckung war so überströmend, daß ich von meinem Stuhl aufsprang und rief: ,,Lobt den Herrn, ich bin tot!“ Ich eilte die Treppe hinunter und begegnete einem der Brüder, der in der Küche half. Ich ergriff ihn und sagte: ,,Bruder, weißt du, daß ich gestorben bin?“ Natürlich schaute er mich ein wenig verblüfft an. ,,Wie meinst du das?“ fragte er mich. Ich erklärte ihm also: ,,Weißt du nicht, daß Christus gestorben ist? Weißt du nicht, daß ich mit ihm gestorben bin? Weißt du nicht, daß mein Tod genauso wahr ist wie sein Tod?“ Oh, dies war zu einer überwältigenden Wirklichkeit für mich geworden! Am liebsten wäre ich durch die Straßen Schanghais gelaufen und hätte meine Entdeckung verkündigt. Von jenem Tage an hatte ich nie mehr den leisesten Zweifel an der Gültigkeit dieses Wortes: ,,Ich bin mit Christus gekreuzigt.“

Damit will ich nicht sagen, daß sich diese Tatsache nicht auch praktisch auswirken muß. Natürlich hat es Folgen, daß wir gestorben sind, wie wir später noch sehen werden. Die Grundlage ist jedoch zunächst einmal die in Christus geschehene Tatsache: Ich bin gekreuzigt.

Wie kommen wir nun dahin, daß wir uns auch so einschätzen? Mit einem Wort gesagt: es ist Offenbarung. Gott selbst muß uns eine Offenbarung geben (Mt. 16:17; Eph. 1:17-18). Unsere Augen müssen für unsere Einheit mit Christus geöffnet werden.

Dies ist mehr, als nur die Lehre darüber zu verstehen. Solch eine Offenbarung ist nichts Verschwommenes oder Ungewisses. Die meisten von uns können sich noch gut an den Tag erinnern, an dem sie erkannten, daß Christus für sie starb. Genauso klar sollten wir uns jedoch auch an den Zeitpunkt erinnern können, an dem wir sahen, daß wir samt Christus gestorben sind. Solch ein Wissen sollte nicht verschwommen, sondern sehr eindeutig sein, denn es ist die Grundlage für unser Vorangehen. Ich bin tot, nicht weil ich mich für tot halte, sondern weil ich tot bin.

Weil ich nun sehe, was Gott in Christus an mir tat, darum halte ich mich für tot. Dies ist die richtige Art und Weise, sich einzuschätzen: nicht auf den Tod hin, sondern vom Tod her.

Schätzt auch ihr euch so ein!

Was bedeutet einschätzen? ,,Schätzt euch ein“ im Griechischen bedeutet eigentlich ,,rechnet euch dafür“. Dieses Wort gehört in den Bereich des Rechnens und der Buchführung. Das einzige auf der Welt, was der Mensch exakt ausführen kann, ist rechnen.

Kann ein Künstler eine Landschaft mit letzter Genauigkeit malen? Oder kann der Historiker für die absolute Verläßlichkeit seiner Quellen und der Kartograph für die letzte Genauigkeit seiner Landkarte bürgen? Bestenfalls sind sie in der Lage, sich der Wirklichkeit in hohem Maße anzunähern. Selbst wenn wir im Alltag irgendeine Begebenheit so ehrlich und wahrheitsgetreu wie möglich erzählen wollen, können wir sie nicht mit völliger Genauigkeit darstellen. Meistens über- oder untertreiben wir, sagen wir zu viel oder zu wenig. Das einzige, was der Mensch absolut zuverlässig tun kann, ist rechnen. Hier ist kein Platz für Irrtum. Ein Stuhl plus ein Stuhl ergibt zwei Stühle. Diese Gleichung gilt in London wie auch in Kapstadt, ob man nun in Richtung Westen nach New York oder in Richtung Osten nach Singapur blickt. Auf der ganzen Welt und zu allen Zeiten, im Himmel, auf der Erde und sogar in der Hölle ist eins plus eins gleich zwei.

Warum fordert uns Gott auf, uns für tot zu halten? Weil wir tot sind. Laßt uns bei dem Beispiel des Rechnens bleiben. Nehmt einmal an, ich habe fünfzehn Schillinge in meinem Geldbeutel.

Welche Zahl erscheint also in meinem Kassenbuch? Etwa vierzehn Schillinge und sechs Pence oder fünfzehn Schillinge und sechs Pence? Nein, in meiner Buchführung muß genau der Betrag erscheinen, der sich tatsächlich in meinem Geldbeutel befindet. Buchführung rechnet mit Fakten, nicht mit Illusionen.

Genauso fordert mich Gott auf, mich als tot einzuschätzen, da ich wirklich bereits tot bin. Gott würde niemals von mir verlangen, etwas in mein Kassenbuch einzutragen, was nicht wahr wäre. Er könnte mich nicht auffordern, mich für tot zu halten, wenn ich noch am Leben wäre. Für solche gedanklichen Verrenkungen wäre das Wort ,,einschätzen“ unangemessen, und man würde eher von ,,fehleinschätzen“ sprechen!

Sich einschätzen bedeutet nicht, sich etwas vormachen. Habe ich nämlich nur zwölf Schillinge in meinem Geldbeutel, wird sich an dieser Tatsache nichts ändern, auch wenn ich fünfzehn Schillinge in mein Kassenbuch eintrage und ,,dafürhalte“, daß sich fünfzehn Schillinge in meinem Geldbeutel befinden. Glaubt ihr, daß das Bemühen in meinem Verstand, mir einzureden: ,,Ich habe fünfzehn Schillinge, ich habe fünfzehn Schillinge, ich habe fünfzehn Schillinge“, irgendeine Auswirkung auf den tatsächli – chen Betrag von nur zwölf Schillingen in meinem Geldbeutel hat? Dies wird absolut nicht der Fall sein! Mein Dafürhalten wird nicht aus zwölf Schillingen plötzlich fünfzehn Schillinge machen, noch aus etwas Unwahrem etwas Wahres. Habe ich dagegen tatsächlich fünfzehn Schillinge, kann ich mit Fug und Recht und mit Gewißheit fünfzehn Schillinge in mein Kassenbuch eintragen. Gott fordert uns auf, uns für tot zu halten, nicht damit wir durch unser Dafürhalten dahin kommen, sondern weil wir bereits tot sind. Er hat uns niemals aufgefordert, uns für etwas zu halten, was nicht den Tatsachen entspricht.

Obwohl wir gesagt haben, daß uns die Offenbarung dahin bringt, daß wir uns für tot halten können, dürfen wir nicht übersehen, daß auch eine Aufforderung ausgesprochen wird: ,,Schätzt auch ihr euch so ein ...“ Das bedeutet, daß wir eine ganz bestimmte Haltung einnehmen sollen. Gott fordert uns auf, das Rechnen zu übernehmen, die Eintragung, ,,ich bin gestorben“, selbst niederzuschreiben und dann nach dieser Tatsache zu leben.

Warum? Weil dies eine vollendete Tatsache ist. Als der Herr Jesus am Kreuz starb, war ich in ihn eingeschlossen. Aus diesem Grund halte ich es für wahr und verkündige, daß ich in ihm gestorben bin. Paulus sagte: ,,Nun schätzt auch ihr euch so ein, daß ihr der Sünde tot seid, aber Gott in Christus lebt.“ Wie ist dies möglich? ,,In Christus Jesus.“ Ihr dürft niemals vergessen, daß diese Tatsache einzig und allein in Christus wahr ist. Schaut ihr auf euch selbst, werdet ihr denken, daß ihr noch sehr lebendig seid. Hier aber geht es um den Glauben an ihn, nicht an uns. Ihr schaut auf den Herrn und seid euch bewußt, was er getan hat.

,,Herr, ich glaube dir, ich halte das für wahr, was in dir wahr ist.“ Laßt euch von diesem Stand niemals wegbewegen.

Sich durch den Glauben einschätzen


Der zweite Schritt: sich einschätzen Der zweite Schritt: sich einschätzen Die ersten viereinhalb Kapitel des Römerbriefes handeln vom Glauben und immer wieder vom Glauben. Durch den Glauben an ihn werden wir gerechtfertigt (Röm. 3:28; 5:1). Durch den Glauben empfangen wir ebenso Gerechtigkeit, Vergebung unserer Sünden und Frieden mit Gott, welche uns ohne den Glauben an das vollbrachte Werk des Herrn Jesus Christus niemals zuteil werden können. Im zweiten Abschnitt des Römerbriefes jedoch kehrt das Wort ,,Glaube“ nicht so häufig wieder, was zunächst darauf hindeuten mag, daß der Schwerpunkt in diesem Abschnitt ein anderer ist. Dies ist jedoch nicht der Fall, denn die Worte ,,Glaube“ und ,,glauben“ im zweiten Abschnitt werden lediglich durch das Wort ,,einschätzen“ ersetzt. Einschätzen und glauben bedeuten hier im Grunde genommen dasselbe.

Was ist Glaube? Glaube ist mein Annehmen der vor Gott gültigen Tatsachen, die immer in der Vergangenheit begründet liegen. Was sich auf die Zukunft bezieht, ist eher mit Hoffnung als mit Glaube zu bezeichnen, obwohl das Ziel des Glaubens auch in der Zukunft liegen mag, wie zum Beispiel in Hebräer 11.

Aus diesem Grund vielleicht wurde in diesem Abschnitt das Wort ,,einschätzen“ gewählt, weil es sich einzig und allein auf die Vergangenheit bezieht, auf abgeschlossene Tatsachen und nicht auf etwas, das noch kommen soll. Von solch einem Glauben spricht Markus 11:24: ,,Alles, was ihr auch betet und bittet – glaubt, daß ihr es empfangen habt, und es wird euch werden.“ Mit diesem Vers wird ausgesagt, daß ihr empfangt, was ihr erbittet, wenn ihr glaubt, daß ihr es (natürlich nur in Christus) bereits empfangen habt. Euer Glaube, daß es euch vielleicht werden wird, daß es euch werden kann oder sogar, daß ihr es in der Zukunft empfangen werdet, ist nicht der Glaube, von dem dieser Vers spricht. Glaube bedeutet, nicht daran zu zweifeln, daß ihr es bereits empfangen habt. In diesem Sinne ist Glaube nur auf die Vergangenheit gerichtet. Menschen, die sagen ,,Gott könnte“, ,,Gott muß“ oder ,,Gott wird“, glauben möglicherweise nicht einmal.


Der Glaube sagt immer: ,,Gott hat es bereits getan.“ Wie äußert sich nun mein Glaube daran, daß ich gekreuzigt bin? Nicht indem ich sage, Gott kann oder wird oder muß mich kreuzigen, sondern indem ich freudig ausrufe: ,,Lobt den Herrn, in Christus bin ich gekreuzigt!“

In Römer 3 lesen wir, daß der Herr Jesus unsere Sünden trug und stellvertretend an unserer Statt zur Vergebung unserer Sünden starb. Römer 6 lehrt uns, daß wir in seinen Tod mit eingeschlossen und so von der Sünde befreit wurden. Als uns die erste Tatsache offenbart wurde, glaubten wir und wurden gerechtfertigt.

Nun fordert Gott uns auf, uns gemäß der zweiten Tatsache einzuschätzen, damit wir befreit werden. Aus praktischen Gründen wird also im zweiten Abschnitt des Römerbriefes ,,einschätzen“ statt ,,glauben“ verwendet, der Schwerpunkt ist jedoch derselbe. So wie ein normales Christenleben begann, geht es auch weiter voran: nämlich im Glauben an die göttlichen Tatsachen

an Christus und sein Kreuz.

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